Am Dienstag (6.10.) fand im Plenum eine Debatte über die Ergebnisse des vergangenen informellen EU-Gipfels vom 23.9. statt, auf dem sich die Mitgliedstaaten auf höhere Finanzhilfen und Unterstützung für EU-Staaten an den Außengrenzen und EU-Nachbarstaaten, die von der syrischen Flüchtlingskrise besonders betroffen sind, geeinigt hatten. Die EU-Abgeordneten forderten jedoch weitere Maßnahmen. Die Mehrheit der Abgeordneten unterstützt die Vorschläge der EU-Kommission zur Bewältigung der Krise.
In seiner Ansprache erinnert EU-Ratspräsident Donald Tusk daran, dass „hunderttausende Flüchtlinge nach Europa fliehen, da sie wissen, dass unsere Gemeinschaft die offenste und toleranteste ist.“ Es liege in der gemeinsamen Verantwortung der EU, den Flüchtlingen zu helfen, jedoch auch die EU-Außengrenzen zu schützen. Der EU-Ratspräsident fügt hinzu: „Das oberste Gebot heute ist die Wiedereinrichtung der Kontrollen an den EU-Außengrenzen als unabdingbare Voraussetzung für eine effektive, menschliche und sichere Migrationspolitik.“
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagt, es sei nicht möglich, sich nur auf die internen Probleme zu konzentrieren. Es sei nötig, den Blick auch auf die Probleme am Rand Europas zu richten: „Die Türkei und die Europäische Union müssen diesen Weg gemeinsam gehen.“ Es sei notwendig, den Flüchtlingen, die an die Küsten der EU gelangen, zu helfen. Juncker bedankte sich bei den EU-Abgeordneten für die zügige Billigung einer solidarischen Aufteilung der Flüchtlinge. Diese Entscheidung sei für die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten richtungsweisend gewesen: „Können Sie sich vorstellen, dass der Europäische Rat eine Entscheidung des Europäischen Parlaments in Frage gestellt hätte?“
„Die Menschen sind verunsichert angesichts der Migrationsfrage und deshalb müssen wir den Menschen sagen, dass wir in der Lage sind, Antworten zu geben“, sagt der EVP-Vorsitzende Manfred Weber aus Deutschland. Es bestehe kein Bedarf an neuen Ideen, sondern ein Bedarf an Umsetzung, Implementierung und Vollzug.
Der S&D-Vorsitzende Gianni Pittella aus Italien betont: „Mauern, Egoismus und Hass. Dies alles ist negativ und zeigt, dass wir Probleme nicht handhaben und lösen können.“ Er appelliert: „Lasst uns den Negativismus beenden und eine neue Etappe einleiten, damit wir die Seele und im Grunde die Zukunft Europas nicht gefährden.“
Der stellvertretende EKR-Vorsitzende Ryszard Antoni Legutko aus Polen sagt, die EU müsse sich auf langfristige Zielsetzungen einigen: „Was wollen wir erreichen? Der Ministerrat hat kulturelle und soziale Kriterien erwähnt, die in der Immigrationspolitik berücksichtigt werden sollten.“ Dies sei sinnvoll, betont Legutko. „Ich befürchte jedoch, dass die Europäer rund um die Migrationsfrage ein so starkes System an Tabus und Hemmschwellen errichtet haben, dass wenig Hoffnung besteht, eine rationale Debatte führen zu können.“
Die Mitgliedstaaten sollten tätig werden, so der ALDE-Vorsitzende Guy Verhofstadt aus Belgien. „Wir müssen die Konsequenzen tragen. Es liegt nicht an den Russen oder den Amerikanern. Wir setzen derzeit keine Initiativen auf europäischer Ebene. Im Ministerrat sind sogar drei verschiedene Meinungen vertreten. Ergreift Initiativen.“
Gemäß Pablo Iglesias (GUE/NGL), EU-Abgeordneter aus Spanien, sei die Verhaltensweise angesichts der Flüchtlingskrise von Scheinheiligkeit geprägt: „Innerhalb der vergangenen 15 Jahre hat die EU-Außenpolitik nicht dazu beigetragen, die Kriege und Krisen zu bewältigen.“ Er bemerkt, dass eine Erhöhung der Finanzmittel nicht ausreiche. „Wir müssen weniger heuchlerisch sein, wenn wir uns mit allen diesen […] Problemen auseinandersetzen.“
Der Ko-Vorsitzende der Grünen/EFA Philippe Lamberts aus Belgien sagt: „Diktatoren und solche, die keine Flüchtlinge in ihr Land lassen, sollten uns keine Lehrstunden in Sachen Demokratie geben.“ Lamberts verweist auf aktuelle Statistiken: „Die EU beansprucht 23,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Welt. Die 160 000 Flüchtlinge, die, wie der Ministerrat beschlossen hat, verteilt werden sollen, repräsentieren 0,2 Prozent aller Flüchtlinge weltweit. Ich denke, die EU kann sich hier verbessern.“
Der EU-Abgeordnete Fabio Massimo Castaldo (EFDD) aus Italien bezeichnet die Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten als „Zeichen einer internen Krise.“ Interne Grenzen würden errichtet werden und die Stabilität und Solidarität aufs Spiel gesetzt.
Der französische EU-Abgeordnete Louis Aliot (ENF) führt an: „Wir müssen die EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen unterstützen, unsere italienischen und ungarischen Freunde. Hören wir damit auf, Herrn Orbán aus Ungarn zu stigmatisieren. Angesichts der Krise tut er sein Bestes.“
Die EU und die Vereinten Nationen sollten Flüchtlinge und Migranten von dem Ort, an dem sie die EU betreten, an ihren Zielort bringen, fordert der fraktionslose EU-Abgeordnete Konstantinos Papadakis.